- Die Automobilhersteller sind zuversichtlicher, dass sie künftige Unterbrechungen in der Lieferkette bewältigen können. Inzwischen haben sie ihre Auftragsrückstände um 61 Prozent reduziert. Für das nächste Jahr wird ein weiterer Rückgang um 39 Prozent erwartet.
- Nearshoring[1] -Strategien, die vor allem durch die Einführung von Elektro- und softwaredefinierten Fahrzeugen sowie regulatorischen und politischen Entwicklungen befördert werden, dürften sich verstärken.
- Obwohl Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft wichtige Bestandteile der Lieferkette der Zukunft sind, hat weniger als die Hälfte der Unternehmen in den letzten 12 Monaten wichtige Initiativen für eine nachhaltige Lieferkette umgesetzt. Nur 13 Prozent entwickeln diese Initiativen aktiv weiter.
Die Unternehmen der Automobilbranche fühlen sich heute sicherer im Umgang mit zukünftigen Störungen in der Lieferkette. Zuletzt waren die Automobilhersteller gezwungen, ihr Supply Chain Management zu überdenken, umzustrukturieren und zu refinanzieren. So die aktuelle Studie des Capgemini Research Institute “The Automotive Supply Chain: Pursuing long-term Resilience”, die heute im Rahmen der IAA Mobility in München veröffentlicht wurde und für die mehr als 1.000 Führungskräfte von weltweit führenden Automobilunternehmen aus zehn Ländern befragt wurden. Demnach haben sich die Probleme zwar kurzfristig lösen lassen, aber die Lieferketten wandeln sich aufgrund ihrer Komplexität und sich verändernder Faktoren weiter. Dazu zählen die Beschleunigung der Produktion von Elektrofahrzeugen (EV), neue regulatorische Maßnahmen und die Einführung von mehr softwarebasierten Funktionen wie ADAS (Advanced Driver Assistance Systems [2]), die die Nachfrage nach Halbleitern erhöhen.
Eine globale Neuausrichtung ist im Gange, da die Beschaffung an Offshore[3] -Standorten in den letzten zwei Jahren um 22 Prozent zurückgegangen ist. Europa führt diesen Trend an und hat die Offshore-Beschaffung seit 2021 um ein Viertel (25 Prozent) reduziert; in Deutschland fällt der Rückgang mit 27 Prozent am höchsten aus. Dahinter folgen APAC und die USA, die die Offshore-Beschaffung um 20 Prozent bzw. 18 Prozent reduziert haben.
Der Studie zufolge erwarten die Automobilunternehmen, dass die Beschaffung aus Offshoring-Standorten bis 2025 um weitere 19 Prozent zurückgehen wird, da die Produktion von Elektrofahrzeugen steigt und die Herstellung von wichtigen Elektronikkomponenten verlagert wird.
Nachhaltigkeitsbemühungen in der automobilen Lieferkette geraten ins Stocken
Mehrere aufeinanderfolgende Krisen in der Lieferkette haben die Automobilhersteller Zeit gekostet und die Aufmerksamkeit und Investitionen von Nachhaltigkeitsinitiativen abgelenkt. Infolgedessen wird Nachhaltigkeit derzeit von vielen nicht als Priorität angesehen. Nur 37 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass Themen wie das Management des CO2-Fußabdrucks und Umweltrisiken die Entscheidungsfindung in der Lieferkette beeinflussen. Das rückläufige Investitionsverhalten in der gesamten Branche spiegelt diesen Trend wider: Während die Gesamtinvestitionen der OEMs in die Nachhaltigkeit der Lieferkette auf dem Niveau des Vorjahres liegen, sind die jährlichen Investitionen der Zulieferer mit 17 Prozent deutlich zurückgegangen.
Obwohl Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft Schlüsselkomponenten für den Aufbau einer widerstandsfähigeren Lieferkette und zukunftssicherer Unternehmen sind, hat sich die Ausweitung von Initiativen zur Kreislaufwirtschaft aufgrund eines Mangels an Lieferanten von Recyclingmaterialien (und den Materialien selbst) verzögert.
Automobilhersteller müssen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft mit Faktoren wie Kosten und Erschwinglichkeit in Einklang bringen. Die Studie zeigt, dass digitale Lösungen dabei helfen können, ein Gleichgewicht zwischen diesen konkurrierenden Faktoren zu finden.
Lieferkettenumstellung bei Halbleitern und Elektrofahrzeugen wird Nearshoring beschleunigen
Aufgrund der zunehmenden Nachfrage nach softwarebasierten Funktionen und Dienstleistungen ist der durchschnittliche Anteil von Halbleitern und Sensoren am Fahrzeugwert in den letzten zwei Jahren um 51 Prozent gestiegen. Es wird erwartet, dass dieser Anteil zwischen 2023 und 2025 um weitere 46 Prozent steigen wird.
Allerdings sieht nur die Hälfte der OEMs die derzeitige Versorgung mit Halbleiterkomponenten als gesichert an. Von diesen gaben 70 Prozent an, dass der Großteil der Lieferungen derzeit aus China, Taiwan, Japan und Korea kommt. Um eine höhere Versorgungssicherheit zu erreichen, investieren die OEMs in alternative Beschaffungsmethoden und entfernen sich von den Tier-1- und Tier-2-Lieferanten. Außerdem haben sich die OEMs die Rohstoffe für EV-Batterien im Durchschnitt nur für drei Jahre gesichert.
Der Aufbau von Lagerbeständen hat zwar Resilienz erhöht, ist aber keine langfristige Strategie
Der Studie zufolge ist die Hälfte der OEMs zuversichtlich, dass sie 60 Prozent der Umsatzeinbußen, die sie 2022 erlitten haben, vermeiden könnten, wenn die gleichen Szenarien – einschließlich der Halbleiterknappheit – heute wieder eintreten würden.
Um betriebliche und logistische Probleme zu lösen, haben sowohl die Zulieferer als auch die OEMs Strategien gewählt, die auf zusätzlichen betrieblichen Investitionen und Betriebskapital basieren. Angeführt wird dies durch den Aufbau von Lagerbeständen, den 81 Prozent der Zulieferer und 44 Prozent der OEM umgesetzt haben. Es ist jedoch klar, dass dies langfristig nicht nachhaltig ist, da eine übermäßige Lagerhaltung eine Reihe negativer Auswirkungen auf das betriebliche und finanzielle Wohlergehen von Automobilunternehmen haben kann.
Datengesteuerte intelligente Lieferketten sichern langfristige Widerstandsfähigkeit
Sichtbarkeit und Transparenz sind der Schlüssel zur Schaffung eines zuverlässigeren Zulieferer-Ökosystems. Nur etwas mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Befragten verfügt über eine ausgereifte intelligente Lieferkette, die eine datengestützte Entscheidungsfindung und die Integration neuerer Technologien wie Künstliche Intelligenz und Datenanalyse ermöglicht. Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit lassen sich durch eine stärkere Beteiligung an standardisierten, offenen und vertrauenswürdigen Datenökosystemen vorantreiben, die neue Anbieter von softwaregestützten Dienstleistungen einbeziehen.
Ralf Blessmann, Leiter des Automotive Sektors bei Capgemini in Deutschland, sagt: “In den letzten Jahren waren die Unternehmen gezwungen, ihr Lieferkettenmanagement bei laufendem Betrieb umzustrukturieren und zu refinanzieren, um die zahlreichen Störungen an allen Fronten zu bewältigen. Auch wenn sich die Situation heute positiver darstellt, müssen die Automobilhersteller eine langfristige, intelligente und datengesteuerte Strategie entwickeln, die Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsvorteile schafft. Diese Strategie muss die Kreislaufwirtschaft als wesentliche Komponente einbeziehen – nicht nur, um Unternehmen bei der Bewältigung der regulatorischen Veränderungen zu unterstützen, sondern auch, um neue Akteure in das Ökosystem der Lieferkette einzubinden und ehrgeizige Klimaziele zu erreichen.”
Zur Methodik der Studie
Das Capgemini Research Institute befragte im Juni und Juli 2023 insgesamt 1.004 Führungskräfte der weltweit führenden Automobilunternehmen aus zehn Ländern. Diese Unternehmen umfassen 449 Automobilhersteller mit einem Jahresumsatz von mehr als 1 Milliarde Dollar und Automobilzulieferer aus zehn Ländern mit einem Jahresumsatz von mehr als 500 Millionen Dollar. Die Befragten befanden sich auf Direktorenebene oder höher und waren für die Lieferkettenstrategie, Nachhaltigkeit, Governance, Investitionen und die daraus resultierenden Vorteile und Ergebnisse der Automobilunternehmen verantwortlich. Darüber hinaus wurden 24 Tiefeninterviews mit Führungskräften und Experten von OEMs und Zulieferern geführt, um den aktuellen Stand des Lieferkettenmanagements in der Automobilindustrie zu verstehen und Einblicke in Strategien zu erhalten, die zur Schaffung einer widerstandsfähigen, vernetzten, intelligenten und nachhaltigen Lieferkette eingesetzt werden können.
Fußnoten
[1] Nearshoring: Auslagerung von Geschäftsprozessen an Unternehmen im nahen Ausland. [2] Ein fortschrittliches Fahrerassistenzsystem (ADAS) umfasst Technologien, die den Fahrer bei der sicheren Bedienung eines Fahrzeugs unterstützen. Durch eine Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine erhöht ADAS die Sicherheit von Fahrzeugen und Straßen. ADAS nutzt automatisierte Technologien wie Sensoren und Kameras, um Hindernisse in der Nähe oder Fahrfehler zu erkennen und entsprechend zu reagieren. [3] Offshoring: Die Verlagerung eines Geschäftsprozesses von einem Land in ein anderes – in der Regel handelt es sich dabei um einen operativen Prozess, z. B. in der Produktion.Die komplette Studie sowie Infografiken können Sie unter folgendem Link herunterladen: https://www.capgemini.com/de-de/news/studie-automobilindustrie-liefekette/
Über Capgemini
Capgemini ist einer der weltweit führenden Partner für Unternehmen bei der Steuerung und Transformation ihres Geschäfts durch den Einsatz von Technologie. Die Gruppe ist jeden Tag durch ihren Purpose angetrieben, die Entfaltung des menschlichen Potenzials durch Technologie zu fördern – für eine integrative und nachhaltige Zukunft. Capgemini ist eine verantwortungsbewusste und diverse Organisation mit einem Team von rund 350.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in mehr als 50 Ländern. Eine 55-jährige Unternehmensgeschichte und tiefgehendes Branchen-Know-how sind ausschlaggebend dafür, dass Kunden Capgemini das gesamte Spektrum ihrer Geschäftsanforderungen anvertrauen – von Strategie und Design bis hin zum Geschäftsbetrieb. Dabei setzt das Unternehmen auf die sich schnell weiterentwickelnden Innovationen in den Bereichen Cloud, Data, KI, Konnektivität, Software, Digital Engineering und Plattformen. Der Umsatz der Gruppe lag im Jahr 2022 bei 22 Milliarden Euro.
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Über das Capgemini Research Institute
Das Capgemini Research Institute ist Capgeminis hauseigener Think-Tank in digitalen Angelegenheiten. Das Institut veröffentlicht Forschungsarbeiten über den Einfluss digitaler Technologien auf große Unternehmen. Das Team greift dabei auf das weltweite Netzwerk von Capgemini-Experten zurück und arbeitet eng mit akademischen und technologischen Partnern zusammen. Das Institut hat Forschungszentren in Indien, Singapur, Großbritannien, und den USA.
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