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Kurswechsel oder Abstieg? Deutschlands Automobilindustrie am Scheideweg

Ein Kommentar zu den Fehlern des VW-Konzerns von Dagmar Hebenstreit und Dr. Jörk Hebenstreit, Gründer und Geschäftsführer der AGILEUS Consulting

Noch vor zehn Jahren konnten wir stolz auf unsere deutsche Wirtschaft sein; heute beobachten wir mit wachsender Sorge, wie unsere Bundesrepublik den Anschluss zu verlieren droht. Das einstige Wirtschaftswunder verblasst, während gleichzeitig immer deutlicher wird, dass Politikentscheider und Wirtschaftslenker an entscheidenden Wendepunkten falsch abgebogen sind. Allen voran die Automobilindustrie – das ehemalige Aushängeschild Deutschlands – ist zum Sinnbild für verpasste Chancen und strukturelle Schwäche geworden. Elektrophobie und Phantomdebatten um Technologieoffenheit treiben sie zunehmend ins Abseits.

Besonders die Krise beim größten Automobilhersteller Deutschlands Volkswagen zeigt, wie fehlende Weitsicht und behäbige Strukturen einen Konzern und mit ihm eine ganze Industrie ins Wanken bringen, die Millionen von Arbeitsplätzen sichert und unsere Volkswirtschaft maßgeblich prägt. Die Entwicklungen bei VW und in der deutschen Automobilindustrie offenbaren ein grundlegendes Versäumnis: Es fehlt die Courage zu radikalen Reformen und einem klaren Plan, wie Wandel hin zu einer innovationsgetriebenen Wirtschaft künftig aussehen kann.

Krisenmanagement mit Augen zu

Der Dieselskandal 2015 hätte Ausgangspunkt für einen knallharten Richtungswechsel bei VW sein können – doch es folgte eine Aneinanderreihung von Fehlentscheidungen. Auf rückläufige Zahlen reagierte die Konzernspitze mit einem Sparprogramm, allerdings ohne parallel dazu verkrustete Strukturen und Prozesse aufzubrechen. So gelang es dem Topmanagement zwar, kurzfristig die Bilanzen zu verbessern, langfristig stabile Gewinne blieben jedoch aus. Ein vorhersehbarer Verlauf: Zu langfristig höherer Effizienz, Resilienz und Flexibilität gelangen Organisationen erst durch eine grundlegende Neustrukturierung.

Drei Führungswechsel innerhalb von neun Jahren brachten Unruhe ins Unternehmen, lähmten interne Veränderungsprogramme und Entwicklungsprojekte und führten zu teils widersprüchlichen Richtungsänderungen. An den Erfolg der ewigen Cashcow, des VW Golf, schaffte es der Konzern nicht anzuknüpfen. Im Gegenteil: Es folgten Neuentwicklungen an den Bedürfnissen der Verbraucher vorbei. Den immer größer werdenden Kleinwagen-Markt bediente der Automobilhersteller nicht, sondern setzte lieber auf Entwicklung und Bau hochpreisiger Fahrzeuge und schrieb dazu noch Preise weit über denen des internationalen Wettbewerbs aus.

Und zu guter Letzt verpasste es Volkswagen auch, seine unternehmensinternen Ausbildungsprogramme zukunftsfest zu machen und in puncto IT- und Elektronikkompetenzen nachzurüsten. Das hat zur Folge, dass der VW-Gruppe auch in Zukunft Arbeitnehmende mit entsprechendem Know-how fehlen – trotz bisheriger hoher Ausbildungszahlen. Das Resultat: Internationale Wettbewerber wie Tesla oder BYD haben die VW-Gruppe schon heute längst abgehängt und die Marktführung übernommen. Sie erfüllen nun die weltweite Nachfrage nach (teil-)elektrischen Fahrzeugen.

Harte Einsparungen ohne Plan?

Die angekündigten Sparmaßnahmen sind per se zwar nachvollziehbar, aber kommen dennoch ungewöhnlich brutal daher. Nach langjährigem „Sonnen im Glanz des Erfolgs“, inklusive Tarif-Plus-Verträgen, Übernahmegarantie für Auszubildende, Beschäftigungsgarantie sowie kontinuierlicher Gehalts- und Bonussteigerungen, bedeutet der aktuelle Kurs ein peinvolles Aufschlagen auf dem harten Boden der neuen Wirtschaftsrealität. Arbeitnehmende müssen deutliche Gehaltseinbußen von bis zu 10 Prozent und perspektivisch Nullrunden hinnehmen, während Vorstandsgehälter lediglich marginalen Kürzungen unterliegen. Solche Maßnahmen hätten vermieden werden können; hätte der VW-Konzern Beschäftigungszahlen, Gehälter und Nullrunden schon deutlich früher dem unternehmerischen Kurs angepasst und auf Innovationsprojekte sowie schlanke und effiziente Organisationsstrukturen gesetzt. Denn je stärker Unternehmen wachsen und dabei ihre Strukturen nicht optimieren, desto unflexibler geraten sie und lassen sich auf Langstrecke nur noch schwer überblicken und steuern. Keine Frage: Die jetzige Situation verlangt einen Rundumschlag – ob die aktuellen Schritte allerdings einem „Plan für danach“ folgen, bleibt Stand heute offen.

Schon jetzt geht ein Beben durch die Bundesrepublik, da einige VW-Produktionsstätten von Schließung bedroht sind. Nehmen wir Sachsen als Beispiel: Hier ist die VW-Gruppe einer der größten Arbeitgeber der Region. Brächen durch Werksschließungen einkommensstabile Einwohner weg und landeten tausende Menschen plötzlich auf dem Arbeitsmarkt und im sozialen Sicherungsnetz, würde das das Aus für diesen Wirtschaftsraum bedeuten.Wirtschaftsforscher rechnen in den kommenden Jahren mit einem Dominoeffekt im Bereich der industriellen Hersteller und Zulieferer, infolge dessen 200.000 Arbeitsplätze dem Spiel stehen könnten.

Produktentwicklung, Lieferketten, Leadership

Die Herausforderungen für VW sind immens, aber keineswegs unüberwindbar. Um die Zeitenwende einzuläuten, bedarf es eines klaren, langfristig angelegten Plans. Dieser sollte folgende Punkte umfassen:

In neue Modelle investieren: Bisher berücksichtigte der Konzern Markt- und Kundenbedürfnisse lediglich unzureichend im Produktportfoliomanagement. Produktentscheidungen beruhten häufig auf internen Annahmen und Bauchgefühl. Künftig muss der Automobilhersteller verstärkt auf Befragungen repräsentativer Käufergruppen sowie handfeste Markt- und Verbraucherstudien setzen. Denn das Selbstverständnis, die Kundenbedürfnisse besser zu kennen als die Kunden selbst, führt unweigerlich zu Problemen.
Dem steigenden Kostendruck entgegentreten: China und andere asiatische Wettbewerber mit deutlich geringerer Kostenstruktur erstarken seit Jahren. VW tut gut daran, diesen Umstand bereits bei der Produktentwicklung zu beachten. Wie soll das Produktdesign aussehen? Inwieweit kann der Konzern vorhandene Bauteile wiederverwenden und auf Modularisierung setzen? Wo findet die Fertigung statt? Welche Spezifizierungen braucht es wirklich?
Antworten auf bestehende Lieferketten- und Zuliefererprobleme finden: Ein Ansatz kann hier sein, nicht mehr nur auf singuläre Zulieferer zu setzen. So verteilt VW das Risiko im Falle von Lieferschwierigkeiten. Im Rahmen eines agilen Projektmanagements erkennt das Management solche Herausforderungen in Zukunft schneller und kreiert ein größeres Zeitfenster für Lösungsfindungen.
Ruhe ins Unternehmen bringen und Resilienz aufbauen: Perspektivisch müssen ständige Führungswechsel vermieden und Mitarbeitende stärker am unternehmerischen Kurs beteiligt werden. Moderne Leadership-Methoden befähigen Arbeitnehmende und Teams, im Rahmen ihrer Kompetenzen mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Das entlastet die Management-Riegen und gibt ihnen die Chance, sich strategischen Themen zuzuwenden und Antworten auf drängende Herausforderungen zu finden.

Selbst ist der Konzern!

Es ist fünf vor zwölf – aber das Ruder kann noch herumgerissen werden, wenn VW jetzt auf tiefgreifende und konsequente Veränderungsprogramme baut. Dazu gehören eine kritische Analyse der Organisationsstrukturen und gezielte Kürzungen, vor allem in den Führungsetagen und der Verwaltung, anstatt wie bisher Stellen im wertschöpfenden Bereich abzubauen. Das schmälert den Overhead und entlastet die Kostenstruktur. Volkswagen darf nicht auf politischen Rückhalt hoffen, sondern muss den Karren selber aus dem Dreck ziehen. Die Innovationsstärke und Schubkraft der deutschen Automobilbauer ist noch nicht endgültig verloren, aber braucht einen dringenden Anstoß, um angesagte Handlungsfelder kunden- und effizienzorientiert anzugehen.

Die derzeit geplanten Maßnahmen lassen allerdings eine gewisse Ideenlosigkeit erkennen. Es bleibt zu hoffen, dass VW nicht an alten Wegen festhält und damit die Krise weiter verschärft. Stattdessen sollte das Auto aus der Software- und IT-Perspektive neu gedacht werden – Tesla hat in der Vergangenheit vorgemacht, wie Innovation, Lernfähigkeit und Kostenreduktion Hand in Hand gehen können. Diese Geschwindigkeit und Flexibilität müssen deutsche Automobilkonzerne als Benchmark verstehen, um international wieder konkurrenzfähig zu werden. Gelingt dies nicht, droht nicht nur VW, sondern der gesamten deutschen Automobilbranche ein schmerzhafter Abstieg. Die Zukunft gehört denen, die bereit sind, sie aktiv zu gestalten – es bleibt zu hoffen, dass VW diese Herausforderung annimmt.

Pressekontakt:

Rebecca Hollmann & Julia Alpert
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Fotograf: Tobias Stepper

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